10. Pseudounabhängige Neurosendisposition

Psychischer Befund

Der Patient zeigt sich betont autonom, autark, willensstark und durchsetzungsfähig. Will am liebsten alles allein entscheiden und machen. Nimmt nur ungern Hilfe an. Lässt keine Anlehnungs- und Bindungswünsche zu. Schützt sich übermäßig dagegen, von anderen abhängig zu werden. Abhängigkeits- und Anlehnungswünsche werden nur indirekt sichtbar, wenn der Patient aufgrund einer oft psychosomatischen Symptomatik auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Biographische Anamnese

Die primären Objekte stehen infolge z. B. Überforderung oder Berufstätigkeit beider Elternteile nur unzureichend für die Anlehnungs- und Abhängigkeitswünsche des Kindes zur Verfügung. Möglicherweise erfordert auch ein krankes oder behindertes Geschwisterkind den größten Teil der Zuwendung der Eltern. Die Eltern erwarten vom Kind früh ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Durch selbstständiges Verhalten gelingt es dem Kind, Zuwendung und Anerkennung der Eltern zu gewinnen.

Psychodynamik

Durch die mangelnde phasengerechte Spiegelung kindlicher Anlehnungs-, Abhängigkeits- und Versorgungsbedürfnisse werden diese gehemmt oder abgespalten. Die Autonomieentwicklung erfolgt beschleunigt und forciert. Die Aggression des Kindes infolge der Frustration seiner Abhängigkeitswünsche kann sich durch ein besonders eigensinniges und schwer beeinflussbares Verhalten Bahn brechen. Das Auftreten von psychosomatischen Symptomen mit einem erhöhten Bedarf des Patienten nach Zuwendung und Versorgung kann als Zusammenbruch der Abwehr der Abhängigkeitswünsche gewertet werden.

Schnellorientierung zu den pseudounabhängigen Strukturanteilen

Wesensmerkmale: betont autonom und autark, will von niemanden abhängig und in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sein.

Impliziter/unbewusster Auftrag: Eigentlich sehne ich mich danach, dass du dich um mich kümmerst, mir Geborgenheit, Schutz und Orientierung gibst. Aber lass mich niemals spüren, wie klein und abhängig ich bin.

Abgewehrt: Abhängigkeits- und Geborgenheitswünsche, Wut über die Frustration von Abhängigkeitswünschen

Abwehrmechanismen: Abspaltung und Verleugnung von Abhängigkeitswünschen, Regression und Somatisierung, wenn (aktualkonfliktbedingt) die Abspaltung und Verleugnung nicht mehr gelingen

Gegenübertragung: Therapeut fällt zunächst auf die pseudounabhängige Selbstin-szenierung des Patienten herein und lässt diesen frei gewähren, doch angesichts anhaltender Symptompräsentation beginnt man sich um den Patienten zu sorgen

Unbewusster Grundkonflikt: Ich darf mich nicht klein und schwach zeigen, obwohl ich mich oft so fühle. Denn wenn ich das tue, werde ich enttäuscht und verletzt.