3. Ängstliche oder vermeidend selbstunsichere Neurosendisposition

Psychischer Befund

Der Patient ist ständig angespannt und besorgt, v. a. um die eigene körperliche Unversehrtheit. Minderwertigkeits- und Insuffizienzgefühle, gehemmt v .a. in zwischenmenschlichen Situationen, fürchtet Kritik, Demütigung oder Zurückweisung, deshalb auch sehr vorsichtig, etwas von sich preiszugeben, aus Angst, zum Beispiel der Therapeut könnte es missbilligen. Tiefes Bedürfnis nach Liebe, Harmonie und danach, akzeptiert zu werden. Sehr intime Beziehungen zu den wenigen Personen, die seinem übertriebenen Sicherheitsverlangen entsprechen, deshalb sind expansive Strebungen eingeschränkt. Vermeidung von unbekannten Aktivitäten und Kontakten, ungewöhnlich risikoscheu.

Biograph. Anamnese

Die Herkunftsfamilie war die Hauptquelle von Unterstützung und beanspruchte volle Loyalität. Die Welt außerhalb der Familie wurde als zurückweisend angesehen. Trotz der hohen familiären Verbundenheit wies die Qualität der elterlichen Zuwendung Mängel auf, die das Kind verunsicherten. Es erlebte im Familienverband demütigende Bloßstellungen seiner Schwächen. Oder es wurde dadurch bestraft, dass es alleine eingesperrt oder von gemeinsamen Familienaktivitäten ausgeschlossen wurde. Erfahrungen von Trennung und Verlust von wichtigen Beziehungspersonen wirken sich umso stärker aus, je früher sie stattfinden. Eine besonders kritische Zeit soll die Subphase der Wiederannäherung (nach Margret Mahler ab dem 18. Monat) sein, in welcher der Konflikt des Kindes zwischen seinen Autonomietendenzen (spielerisches Sich-Entfernen von der Mutter) und seiner Trennungsangst einen Höhepunkt erreicht. Ein zu stark ängstliches und an sich bindendes Verhalten der Mutter oder umgekehrt schmerzvolle Erfahrungen von Trennung, Verlust oder unzuverlässiger Objekte behindern die Entwicklung der Objektkonstanz in der Konsolidierungsphase (ab dem 24. Monat) ebenso wie fehlende Triangulierung bei Abwesenheit des Vaters.

Psychodynamik

Unzureichende Objektkonstanz: das gute und sichere Bild des primären Objekts ist innerseelisch nicht so stabil repräsentiert und libidinös besetzt, dass die vorübergehende äußere Trennung vom Objekt ohne wesentliche Trennungsangst und Bedrohung für die Kohärenz des Selbst ertragen werden kann. Mangelnde Verinnerlichung stabiler Objektrepräsentanzen und damit labile Selbstrepräsentanzen, drohender Selbstverlust bei Trennung von dem Sicherheit spendenden Objekt, Verschiebung der Selbstverlustangst auf körperliche Symptome oder Externalisierung auf soziale Situationen. Eigene aggressive Impulse werden in eine fremde Welt projiziert, die dann als feindselig und gefährlich erlebt wird. Persistierendes regressiv-unbewusstes Bedürfnis nach absolut sicherer Bindung bei einem idealen und immer verfügbaren Objekt, das niemals durch Tod oder Trennung verloren gehen kann. Teilweise Verleugnung von bedrohlichen Themen, zum Beispiel Tod.

Schnellorientierung zur ängstlichen Neurosenstruktur

Wesensmerkmale: sehr selbstunsicher, braucht die sichere Verfügbarkeit anderer, vermeidet unbekannte Situationen und Kontakte, größte Angst vor dem Tod

Impliziter/unbewusster Auftrag: Sei immer für mich da, lass mich nicht allein; sage mir, dass alles gut wird; versichere mir immer wieder, dass mir nichts passieren kann

Abgewehrt: Wut über die Erfahrung unsicherer Bindung (Wutäußerungen hätten die Bindungen noch unsicherer gemacht), Trauer angesichts der Begrenztheit des Daseins und der Beziehungen, unfähig, zu trauern; Hemmung von lustvoller Exploration und Expansion

Abwehrmechanismen: Verleugnung von schmerzlichen Aspekten der Realität, zum Beispiel der Notwendigkeit, sterben zu müssen und wichtige Bindungen verlieren zu können; Verschiebung des immer drohenden Selbstverlusts auf soziale Situationen (zum Beispiel Agoraphobie) oder den eigenen Körper (zum Beispiel Panik, Hypochondrie, Herzphobie), eigene abgewehrte aggressive Impulse werden in fremde Situationen externalisiert, die dann als feindselig und bedrohlich erlebt werden

Gegenübertragung: zuerst Anteilnahme und bereitwillige Übernahme einer Hilfs-Ich-Funktion, irgendwann wird man hilflos, weil man dem Patienten nicht die vollständige Sicherheit von Bindungen und körperlicher Integrität garantieren kann

Unbewusster Grundkonflikt: Ich will totale Sicherheit, aber nichts und niemand ist mir sicher, deshalb muss ich ständig auf der Hut sein, dass ich nicht alleine und ungeschützt dastehe

Besonders vulnerabel für: (drohenden) Verlust Sicherheit spendender Objekte, jede Art von Veränderung, vor allem, wenn sie sich der eigenen Kontrolle entzieht