Strukturniveau

Arbeitsblatt zur Bestimmung des Strukturniveaus

(nach Rudolf, für die Praxis modifiziert von Boessmann und Remmers)

  1. Selbstwahrnehmung (eigener Körper, eigene Affekte, eigene Fantasiewelt, Selbstreflexionsvermögen und Identitätserleben)
  2. Wahrnehmung anderer (Objekte) und Selbst-Objekt-Differenzierung
  3. Emotionales Kommunikationsvermögen (Kontaktaufnahme, Empathie und Antizipation der Reaktionen anderer)
  4. Affekt- und Impulssteuerung
  5. Selbstwertregulierung, Identität
  6. Bindung eingehen, Hilfe annehmen
  7. Variable Bindungen aufrechterhalten
  8. Bindung lösen
  9. Positive innere Bilder von wichtigen Menschen, Objektkonstanz, positive Beziehung zu sich selbst
  10. Denken und Kognition

Gesamtmaß für das Strukturniveau

Entscheiden Sie sich nach Durchsicht der einzelnen Aspekte für ein zusammenfassendes Gesamtmaß (Mittelwert) für das Strukturniveau des Patienten.

Das Strukturniveau des Patienten ist insgesamt zu bewerten als:

  • gut integriert
  • gut bis mäßig integriert
  • mäßig integriert
  • mäßig bis gering integriert
  • gering integriert
1. Selbstwahrnehmung (eigener Körper, eigene Affekte, eigeneFantasiewelt, Selbstreflexionsvermögen und Identitätserleben)

gut
integriert

Der eigene Körper ist lebendiger und integraler Bestandteil des Selbsterlebens. Der Patient kann eigene Affekte in ihrer Vielfältigkeit erleben und zulassen; auch in schwierigen Situationen ist eine differenzierte Wahrnehmung und Schilderung eigener Affekte möglich, die eine große Bandbreite zeigen und vor allem auch positive Affekte wie Freude, Neugier und Stolz umfassen. Der Patient ist fähig, den Blick auf die eigene Person und die eigene Innenwelt zu richten. Der Patient kann seine Fantasien und Träume für kreative Lösungen und zur Erweiterung seines Erlebnisraums nutzen. Der Patient kann realistisch wahrnehmen, was für ein Mensch er/sie ist und was in ihm/ihr vor sich geht, und dieses sprachlich differenziert auszudrücken. Ein kohärentes Selbstbild ist auch über die Zeit hinweg stabil.

mäßig
integriert

Einschränkungen des Körpererlebens und Unsicherheiten des Körperselbstbildes; der Körper wird ich-dyston im Sinne eines „Ich-und-mein-Körper“ erlebt. Eingeschränkte Wahrnehmung von Affekten, vor allem in schwierigen Situationen; negative Affekte wie Wut, Angst, Enttäuschung und Selbstentwertung überwiegen. Auch die Fantasietätigkeit ist eingeschränkt. Der Patient hat wenig Interesse, über sich nachzudenken, die Selbstreflexion ist eher handlungsbezogen (was man gesagt und getan hat) und kann nur schwer in differenzierte Worte gefasst werden. Situations- und stimmungsabhängige Einbrüche und Wechsel im Selbstbild.

gering
integriert

Der Patient erlebt seinen Körper als bedrohlich und eingefroren; unklares oder fragmentiertes Körperselbstbild. Affekte können nicht differenziert wahrgenommen und geschildert werden; negative Affekte drängen sich auf und äußern sich vor allem nonverbal als Erregung, Panik, Entfremdung, Affektleere, Depression oder manische Gestimmtheit. Verachtung, Ekel und Wut dominieren als Affekte. Negative Fantasien können zu bedrohlichen Überzeugungen werden. Selbstreflexive Wahrnehmung ist kaum möglich; es besteht kein kohärentes Bild von sich selbst und der inneren Situation. Widersprüchliche Selbstaspekte stehen nebeneinander; es fehlt eine Begriffssprache für innere Vorgänge. Zu unterschiedlichen Zeiten und Situationen treten verschiedenartige Selbstaspekte in den Vordergrund.

2. Wahrnehmung anderer (Objekte) und Selbst-Objekt-Differenzierung

gut
integriert

Der Patient nimmt andere als Menschen mit eigenen Interessen, Bedürfnissen, Rechten, Stimmungen, Fähigkeiten und einer eigenen Geschichte wahr; Gegensätze zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der anderen können deutlich wahrgenommen werden; ein konstruktiver Interessenausgleich ist möglich. Eigene Affekte, Impulse und Gedanken können problemlos und eindeutig von denen anderer Menschen (Objekte) abgegrenzt werden.

mäßig
integriert

Der Patient nimmt andere in ihrem besonderen Sosein und Anderssein sowie in der ihnen eigenen Komplexität und Widersprüchlichkeit nicht wahr, sondern erlebt sie entsprechend dem eigenen Wunschbild verzerrt, sodass positive oder negative Seiten überzeichnet werden; es stehen entweder die eigenen oder die anderen Interessen im Vordergrund, sodass kein befriedigender Interessenausgleich erfolgt. Die Zuordnung von Affekten, Impulsen und Gedanken ist bezüglich Selbst und Objekt unsicher; die Abgrenzung vom anderen und die distanzierte Wahrnehmung des anderen ist erschwert.

gering
integriert

Der Patient generalisiert einzelne Eigenschaften anderer, wodurch andere leicht in Extremen wahrgenommen werden, entweder als besonders gut oder ganz und gar schlecht; es fehlt eine angemessene Vorstellung von den Interessen des anderen; die eigenen Interessen erscheinen in Beziehungen bedroht. Im Extremfall verwechselt der Patient Selbst und Objekt; anderen werden jene Affekte zugeschrieben, die für das eigene Selbst unerträglich sind (Projektion).

3. Emotionales Kommunikationsvermögen (Kontaktaufnahme, Empathie und Antizipation der Reaktionen anderer)

gut
integriert

Der Patient ist zur lebendigen Kontaktaufnahme mit sichtbarer affektiver Beteiligung fähig und kann sich in die innere Erlebniswelt anderer einfühlen. Reaktionen anderer können angemessen und handlungssteuernd vorausgesehen werden. Der Patient kann eigene Wünsche äußern, sich gegen Wünsche anderer abgrenzen und andere situativ angemessen auch mit eigenen negativen Affekten (zum Beispiel Enttäuschung, Ärger, Missbilligung) konfrontieren.

mäßig
integriert

Der Patient ist nur eingeschränkt an persönlicher Kontakt- und Beziehungsaufnahme interessiert. Die Mitteilungsbereitschaft ist durch das Überwiegen negativer Affekte (Enttäuschung, Selbstentwertung, Angst, Kränkbarkeit) und durch eine übertriebene Vorstellung über negative Reaktionen anderer auf das eigene Tun gehemmt. Die selbstbezogene und defensive Haltung des Patienten und sein eingeschränktes Einfühlungsvermögens in die innere Erlebniswelt anderer machen Gespräche mit ihm schwierig.

gering
integriert

Der Patient vermeidet emotionale Kontaktaufnahme oder zeigt distanzloses Kontaktverhalten. Die stark eingeschränkte affektive Differenzierungsfähigkeit, das Unbeteiligtsein, der Empathiemangel und die Neigung zur Entwertung lassen im Gegenüber Verwirrung, Leere, Distanz sowie einen Wechsel von Überengagement und Resignation entstehen. Geringes Einfühlungsvermögen in die innere Erlebniswelt anderer; kaum Mitgefühl für andere; negative Reaktionen anderer auf das eigene Handeln können kaum vorausgesehen und zur Verhaltenskontrolle eingesetzt werden.

4. Affekt- und Impulssteuerung

gut
integriert

Der Patient kann auch negative und ambivalente Affekte wahrnehmen und sozialverträglich ausdrücken; orale, libidinöse, aggressive und sexuelle Impulse können einerseits wahrgenommen, andererseits im Rahmen von Wert- und Moralvorstellungen sowie der geltenden Rechtsordnung aufgeschoben sowie schließlich sozial verträglich befriedigt und integriert werden.

mäßig
integriert

Der Patient kann heftige negative Affekte schlecht ertragen und reagiert mit übersteuertem Verhalten; orale, aggressive und sexuelle Impulse sind einerseits stark gehemmt, woraus ein Gefühl innerer Blockiertheit und großen inneren Drucks resultiert, andererseits brechen die Impulse gelegentlich durch, mit der Folge starker Schuldgefühle oder einer vorübergehenden vollständigen Ausblendung von Schuld.

gering
integriert

Die Überflutung von negativen Affekten kann so unerträglich werden, dass es zu Impulsdurchbrüchen kommt; Impulse können insgesamt kaum aufgeschoben werden; aggressive Impulse münden in selbst- oder fremddestruktiven Handlungen.

5. Selbstwertregulierung, Identität

gut
integriert

Auch unter konflikthaften Belastungen kann der Patient ein positives Selbstwert- und Identitätsgefühl aufrechterhalten oder
wiederherstellen.

mäßig
integriert

Konflikte und Misserfolge beeinträchtigen das Selbstwertgefühl, was sich in Empfindlichkeit, Selbstüberhöhung oder -entwertung, Selbstbestrafung oder Rückzug äußert. Unter Belastung geht ein kohärentes Selbstbild und Identitätsgefühl verloren.

gering
integriert

Schon bei leichter Verletzung oder bei geringfügigen Konflikten wird das Selbstwertgefühl gestört; allgemein hohe Kränkbarkeit, Neigung zu unrealistischen Größenvorstellungen, Scham, Ekel vor sich selbst, Entwertung, Gereiztheit, Beziehungsabbruch und Unfähigkeit, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Selbstbild und Identitätsgefühl sind dauerhaft instabil.

6. Bindung eingehen, Hilfe annehmen

gut
integriert

Andere sind mit ihren spezifischen Wesenseigenschaften emotional bedeutsam; es besteht der Wunsch, sich an andere zu binden; bei Bedarf kann die Hilfe anderer angenommen werden; es besteht keine Objektabhängigkeit.

mäßig
integriert

Die emotionale Bedeutung des wichtigen anderen ist überhöht, ohne dass die spezifischen Wesenseigenschaften anderer voll berücksichtigt werden; es kann auch eine Unfähigkeit bestehen, bei Bedürftigkeit hilfreiche andere zu finden und/oder in Anspruch zu nehmen.

gering
integriert

Stark eingeschränkte Bindungsfähigkeit; eventuell wechselnde, kurzfristige und funktionalisierte Beziehungen; Misstrauen in
Hilfsangebote.

7. Variable Bindungen aufrechterhalten

gut
integriert

Patient kann vielfältige, vor allem auch triadische Beziehungen eingehen, welche emotional stabil sowie von Gefühlen der
Dankbarkeit, Fürsorge, Verantwortung und Schuld begleitet sind und konflikthafte Belastungen aushalten. Es besteht in Beziehungen der Wunsch und das Vermögen, sich gegenseitig zu unterstützen, die Beziehung zu schützen, Interaktionsregeln zu entwickeln und zu achten.

mäßig
integriert

Dyadische Beziehungen mit einseitiger oder gegenseitiger Abhängigkeit werden bevorzugt; die Variabilität von Bindung ist
eingeschränkt.

gering
integriert

Beziehungen laufen nach Mustern ab, welche die Individualität des anderen kaum berücksichtigen; es besteht keine Vorstellung, anderen helfen zu können.

8. Bindung lösen

gut
integriert

Es besteht die Fähigkeit, bei Trennung und Verlust angemessen zu trauern; Beziehungen können bei Bedarf wieder gelöst werden. Der Patient kann sich während und nach Trennungen emotional neu orientieren.

mäßig
integriert

Trennungen können schwer ertragen werden. Der Patient erhält Bindungen aufrecht, die nicht in seinem Interesse sind oder ihm sogar schaden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Abschiede (und damit ein bewusstes Erleben von Trennung) übergangen werden.

gering
integriert

Der Patient ist nicht in der Lage, trauernd Abschied zu nehmen; reale Trennungen können den Patienten tief erschüttern und Depressionen auslösen.

9. Positive innere Bilder von wichtigen Menschen, Objektkonstanz, positive Beziehung zu sich selbst

gut
integriert

Der Patient kann emotional stabile innere Bilder von wichtigen Menschen entwerfen und aufrechterhalten sowie diese inneren Bilder nutzen, um Trennung zu ertragen, sich selbst zu beruhigen, für sich selbst zu sorgen und einzustehen.

mäßig
integriert

Der Patient kann nur eingeschränkt emotional stabile innere Bilder von wichtigen Menschen entwerfen und aufrechterhalten; Halt gebende innere Bilder können nach kürzerer Zeit und bei Konflikten verloren gehen; reduzierte Fähigkeit, Trennungen von wichtigen Menschen zu ertragen; innere Objekte sind nicht nur wohlwollend, sondern treiben eher an, kritisieren, fordern, vernachlässigen (Introjekte).

mäßig
integriert

Beziehungen hinterlassen keine positiven inneren Bilder; überwiegend Vorstellung von bedrohlichen und verfolgenden Objekten; innere Objekte können nicht zur Selbstberuhigung und zum sorgsamen Umgang mit sich selbst genutzt werden.

10. Denken und Kognition

gut
integriert

Das Denken ist differenziert, realitätsbezogen und geordnet; verschiedene Grundannahmen und Wissensquellen als Voraussetzung des eigenen Denkens und Erkennens können unterschieden und kritisch hinterfragt werden; Interesse an kognitiven Differenzierungsangeboten von außen besteht, neue Sichtweisen können in das eigene Denken integriert werden.

mäßig
integriert

Der Patient hält an bestimmten, wenig differenzierten Grundüberzeugungen und Vorurteilen fest; kognitive
Differenzierungsangebote und neue Sichtweisen beunruhigen und können nur, wenn überhaupt, langsam angenommen und integriert werden.

gering
integriert

Der Patient überschätzt bestimmte Einflussfaktoren, übersinnliche Mächte und auch die eigenen Kräfte in magischer Weise; eine Hinterfragung der Voraussetzungen des eigenen Denkens und kognitive Neubewertungen sind kaum möglich; das Denken kann auf überwertige, einseitige und realitätsfremde Ideen eingeengt oder ungeordnet, sprunghaft und orientierungslos sein.